17. November 2015 17.00 Uhr Castelo de São Jorge
Die drei Herren fühlten sich offensichtlich ertappt. Melanie sprach sie auf Englisch an, was sie denn hier machen würden, außer die wunderbare Aussicht zu genießen? Und dann poltere Erik, ohne auf eine Antwort zu warten, drauf los. "Wer sind Sie? Was machen Sie? Warum beobachten und fotografieren Sie uns?" Dann stand er vor ihnen und es reichte jedem, der einmal seine Bekanntschaft auf diese Art und Weise gemacht hatte, um zu wissen, dass man sich besser beeilen sollte, die richtigen Antworten zu gehen oder man war verdammt schnell zu Fuß. Einer der drei hob die Hand, um damit anzudeuten, dass ihre Absichten wohl friedlicher Natur wären. Dann öffnete er seinen Mantel und darunter war der Habitus eines Priesters zu entdecken. Ein kleines silbernes Kreuz hatte er sich umgehängt, damit signalisierte er Erik, dass er sicher nicht auf einen körperlichen Streit aus war. "Entschuldigen Sie bitte, wenn wir sie verärgert oder gar für Verstörung bei ihnen gesorgt haben. Wir sind Priester eines Seminars hier in der Nähe und haben heute Morgen Ihre Schiffe gesehen. Wir wussten, als sie hier in den Hafen eingelaufen sind, wer Sie sind. Wir waren einfach sehr neugierig und als wir sie hier oben entdeckt haben, erdreisteten wir uns, Sie zu fotografieren. Es war unhöflich, Sie vorher nicht zu fragen, aber wir verfolgen seit Monaten ihre Blogs im Internet, Ihre Geschichten, Abenteuer und auch die Bilder von Ihrer Reise. Wenn Sie so wollen sind wir Fans der Nordstrandpiraten."
Erik vernahm es, drehte sich um und schaute zu seinen Freunden. Sein Blick verriet, was er dachte. So was konnte man glauben oder nicht und er entschied sich für das nicht. "Darf ich fragen, warum Sie sich nicht getraut haben, uns anzusprechen? Priester und ängstlich schweigend, zudem mit einem Hang zum Stalking? Das passt nicht. Tut mir leid, aber ich kann ihnen nicht glauben. Und bitte schwören sie nicht bei Gott, das könnte zu Blitzschlag und Erdbeben führen und das wollen wir doch alle nicht." Eriks Haltung war mehr als nur bedrohlich. Er war sichtbar sauer, weil er sich nicht ernstgenommen fühlte. Der Wortführer war sichtlich erschüttert, dass man offensichtlich seinen Ausführungen nicht glauben wollte. "Entschuldigen Sie bitte, das kommt nicht mehr vor. Wir werden jetzt wohl besser gehen," sagte der priesterliche Wortführer und drehte sich um. Hinter ihnen stand ein paar Meter entfernt Pet mit Sophia und den drei Hunden. Das gefiel den Herren in den schwarzen Mänteln nicht. Sophia kannte ihren Carl. Man musste nur leise zu ihm sagen, dass er nun aufpassen solle und schon begann er zu lächeln - das wurde oft als Zähnefletschen missverstanden. Die beiden anderen machten sofort das Spiel mit. Da Trevor etwas zu groß geraten war, wirkte es noch bedrohlicher und die Herren aus dem Seminar spürten, dass sie hier nicht so leicht wegkommen würden. "Können wir uns nicht darüber einigen, dass wir einen Fehler gemacht haben und dass wir jetzt besser gehen." Die Stimme des schwarzgewandeten Wortführers war nun sehr bestimmend und gar nicht mehr mit einem pastoralen Unterton versehen.
Lars trat nun auch etwas näher an die drei heran. Laut, fast zu laut fragte er. "Sind sie bewaffnet?" Wir automatisiert griff sich einer der dreien an die Hüfte und betastete sich. Ganz klar zeichnete sich hier eine Waffe unter dem Mantel ab. Melanie spürte, dass nun eine deeskalierende Aktion nötig war. "Meine Herren, Sie können natürlich gerne gehen, wenn Sie uns ihre Kameras überlassen. Die bringen wir dann gerne zu ihrem Seminar, wenn wir unsere Bilder darauf gelöscht haben. So können wir uns doch friedlich voneinander trennen, ohne dass jemand zu Schaden kommt." Melanie hatte nicht nur ihr diplomatisches Geschick eingesetzt, sondern auch das Ganze mit sehr viel weiblichem Charme gewürzt. "Nein, das werden wir nicht tun. Löschen Sie die Bilder hier, wir nehmen die Kameras dann mit und dann trennen sich unsere Wege." Diese Stimme war es gewohnt, Befehle zu erteilen. "Dann machen wir das so." Melanie rief Otto und Betty zu sich. Die löschten alle Bilder und den dreien wurden dann die Kameras wieder übergeben.
Man verabschiedete sich höflich voneinander und Greg rief ihnen auf lateinisch hinterher. "Gott befohlen lieb Freunde in Christo." Keine Reaktion auf seinen Ruf.
"Das waren keine Priester, auch wenn sie sich den Habitus dazu angelegt hatten. Zudem tragen Priester meines Wissens nach keine Waffen unter Mänteln." Lars wirkte fast amüsiert über diese Sache. Dann sammelten sich alle und Otto informierte kurz, was er auf den Kameras entdeckt hatte. "Die Bilder wurden direkt an eine E-Mailadresse weitergeleitet. Also sind sie schon irgendwo abgespeichert. Aber nicht nur dort. Wir haben alle Dateien bevor wir sie gelöscht haben auf unsere E-Mailadresse gesendet. Schauen wir die uns doch später an." Betty musste ebenfalls lächeln. Hatte sie doch entdeckt, dass diese Kameras internetfähig waren.
"Und wer war das oder wo kommen die her?" Juris wirkte noch immer sehr angespannt, als er diese Frage in die Runde stellte. "Auf keinen Fall waren das Priester. Und meiner Meinung nach waren das Spanier. Der eine trug einen Ring mit einem Siegel darauf. Ich habe das heimlich fotografiert und auch die Gesichter der Dreien habe ich auf der Platte. Und wie ich auf Spanier komme. Einfach nur ein Bauchgefühl." Alberto war die ganze Zeit in Bewegung gewesen und hatte die Szenerie fotografiert und sogar ein paar Mal gefilmt. "Dort hinten stand ein Peugeot, Da saß einer hinterm Steuer und hat geraucht und uns alle beobachtet. Als die drei losmarschiert sind, ist er losgefahren und ich habe bemerkt, dass die drei das gar nicht gut fanden. Vielleicht mussten sie dann zu viel zu Fuß gehen. Ich habe Autonummer und vielleicht auch das Gesicht des Fahrers. Kaum sind wir wieder auf europäischem Boden und schon geht's wieder los mit Agentenabenteuern." Damit hatte Alberto für viele lachende Gesichter gesorgt.
"Dann lasst uns jetzt zum Essen gehen, der Bus wartet und wir haben genug erlebt. Das Sightseeing ist mir ein wenig vergangen." Carla nahm einen Schirm in die Hand, hob ihn nach oben und rief vergnügt hinter sich. "Please follow this sign." Dann marschierte sie Richtung Parkplatz, wo der Bus wartete.
Trotz dieses Zwischenfalls mit den drei vermeintlichen Priestern war das Abendessen in einem Gourmetrestaurant sehr ausgelassen und alle konnten sich bestens entspannen. Die Fahrt nach Mitternacht zum Hafen gestaltete sich als etwas schwierig, da die Schranke an der Jachthafeneinfahrt klemmte, der Bus konnte nicht aufs Hafengelände fahren und deshalb mussten alle zu Fuß bis zur Mole gehen. Erst nach drei Uhr morgens kehrte Ruhe auf den Schiffen ein. Das eine oder andere Gespräch wollte noch geführt werden und Juris schickte die Bilder von den Dreien, die sie auf der Burg gesehen hatten, an einen Kollegen einer sehr speziellen Polizeitruppe in seiner Heimat.
18. November 2015 bis 20. November 2015 in Lissabon
Einzelne Gruppen bildeten sich aus den drei Schiffsbesatzungen und unternahmen Ausflüge in die Stadt und das Umland. Pet, Otto, Sophia, Melanie, Jan, Lena und Gregori - zwei der Besatzungsmitglieder der Sasha - hatten sich vorgenommen, die Kleinstadt Arruda dos Vinhos zu besuchen. Dort hatte Otto einen Winzer ausgemacht, der offensichtlich einen besonders guten Wein kelterte. Die Stadt war durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Wellington und einer Napoleonischen Armee bekannt geworden. Dort hatte Wellington eine Verteidigungslinie errichten lassen, um den Franzosen den Marsch auf Lissabon zu erschweren oder gar zu verhindern. Pet und Sophia wollten dort ihre geschichtliche Neugierde befriedigen, Melanie und Otto waren mit Freude dabei, da sie sich für ausgefallene Keltermethoden interessierten und die anderen wollten beides. Ein wenig Sightseeing, ein wenig Genuss und einfach den Tag mit Freunden genießen. Den gemieteten Siebensitzer durfte Pet steuern, wobei er gar nicht begeistert war, diese Aufgabe zu übernehmen. Er wollte doch einfach aus dem Fenster schauen und die Landschaft betrachten. Dann also erst mal die Tortur, sich durch den morgendlichen Verkehr Lissabons nach außerhalb zu drängeln. Chaos gepaart mit Emotionen, Egoismus und automobilistischer Vielfalt kennzeichneten den Verkehr auf Lissabons Straßen. Nach etwas mehr als fünfundvierzig Minuten waren sie auf der Ausfallstraße in Richtung Arruda dos Vinhos und nach etwas mehr als zwei Stunden später erreichten sie den Ort.
Eigentlich ein Ort, wo man als Mitteleuropäer nicht unbedingt seinen Lebensabend verbringen wollte. Die Stadtbesichtigung war sehr schnell vorüber. Es gab bis auf zwei oder gar drei Gebäude wenig an wirklich interessanten Flecken im Ort. Also fuhren sie etwas früher als geplant zu dem Winzer. Dessen Kellerei war hochmodern und begeisterte alle. Der Empfang mit einem Glas Weißwein, etwas Brot, Käse und Salami an einem Tisch aus Granit unter einem Glasdach serviert lockerte die Stimmung sofort auf. Die Bilder im Showroom - alles Fotografien oder Graphiken - zeigten den Weinbau und den Weingenuss in allen erdenklichen Variationen. Bereits eine Stunde nach der ersten Verkostung hatte Otto vierundzwanzig Flaschen eines guten Weißweines erstanden, aber das war nicht alles. Es folgten dann nochmals vierundzwanzig Flaschen kräftigen Rotweines und sechs Flaschen Gin, der dort ebenfalls gebrannt und gelagert wurde. Ein Metzger durfte dann noch fünf Dutzend geräucherte Schweinewürste liefern. Dann probierte Melanie den hauseigenen Tresterschnaps. Alle anderen bis auf Pet durften ebenfalls einen mehr oder weniger kleinen Schluck der klaren Köstlichkeit versuchen. Hiervon wurden ebenfalls nochmals achtzehn Flaschen geordert. Da alle inzwischen ziemlich unter den Anstrengungen der Verkostung litten, musste Pet das Auto selbst mit dem Erstandenen beladen. Im Ort fanden sie ein kleines Café, wo Pet die ersten Versuche unternahm, die sportlichen Verletzungen seiner Mitreisenden mit Kaffee zu heilen. Kaffee war hier offensichtlich ein kräftiger Espresso und alle verstanden, dass sie die Heimfahrt nur mit der heilsamen Wirkung dieses dunklen Getränkes überstehen würden.
In einem Supermarkt erstand Pet dann noch ein paar Wasserflaschen. Kurz vor Lissabon wurde das Motorengeräusch von lautem Schnarchen seiner Passagiere übertönt. Nur Lena, die Matrosin von der Sasha, war noch wach und Pet sah sie im Rückspiegel stoisch vor sich hin lächeln.
Am Pier halfen ihm die Mannschaftsmitglieder der drei Jachten beim Entladen des Busses. Die Verkoster waren alle wieder zu Kräften gekommen und konnten alleine ihre Kojen erreichen.
21. November 2015 8.30 Uhr
Die kleine Flotte verließ den Hafen mit Motorkraft. Nachdem die Blauzahn die Brücke Ponte 25 de Abril passiert hatte, wurde der Masten wieder voll ausgefahren und die Segel gesetzt. An diesem Tag war es etwas kühler und so hatten sich alle warm angezogen und standen entweder auf der Brücke oder auf dem Vordeck, um sich von der Stadt mit etwas Handwinken und Sehnsuchtsblicken zu verabschieden.
Juris bekam an diesem Morgen die Informationen über die drei vermeintlichen Priester. So wie vermutet waren es Spanier. Ehemalige Priesterschüler, die sich einer extremistischen Organisation angeschlossen hatten. Sie verfolgten alles, was nicht in ihr Weltbild passte. Dazu gehörten nicht nur Freigeister, Intellektuelle und Superreiche, sondern auch Menschen, die versuchten, das bisherige Weltbild in Frage zu stellen und neue Gesellschaftsformen anzudenken. Es waren also extrem konservative Menschen, die ihr christliches Weltbild, wenn es sein musste, auch mit Gewalt zu verteidigen suchten. Wie Juris herausfand waren diese Leute alles andere als harmlose Spinner, denn sie gehörten zu einem Netzwerk, das von den USA bis weit in den russischen Raum hinein agierte. Die drei waren bisher durch wilde Pöbeleien in Großstätten und auf Kulturveranstaltungen aufgefallen. Um sich zu finanzieren, boten sie ihre Dienste auch gewissen staatlichen Stellen an. Ob dieses Leben mit dieser konservative Philosophie nur Tarnung für ihre Dienstleistung war oder umgekehrt konnte nicht festgestellt werden. Klar war nur, dass sie derzeit im Auftrage einiger russischer Industriemagnaten arbeiteten. Eine kurze Zusammenfassung der Erkenntnisse schickte Juris an Simon und wartete, was er wohl mit den Erkenntnissen machen würde. Die Bilder, die sie gemacht hatten, zeigten jeden Einzelnen der drei Mannschaften, die Jachten aus allen möglichen Perspektiven und dann kamen noch ein paar Fotos von Bauplänen eines Hauses. Sonst war da nichts. Außer der IP Adresse wohin die Bilder geschickt wurden. Um das aber herauszufinden benötigte man sicher einen Spezialisten, den irgendjemand auf einem der drei Jachten wohl an der Hand haben würde. Man hatte - Jan kannte einen IT Spezialisten in London, der sich darauf spezialisiert hatte, Wege von elektronischen Nachrichten herauszufinden. Jan setzte sich mit ihm in Verbindung und sein Kontakt in London wollte für eine kleine Aufwandsentschädigung gerne den Suchauftrag annehmen.
Nachdem das erledigt war konnten sich alle wieder dem Segeln, dem Meer und dem Müßiggang widmen.
Das Wetter war nicht unbedingt erbaulich, aber der Wind war gut, die Wellen nur etwas unruhig und so kam die kleine Flotte schnell voran.
Unbemerkt blieb eine Motorjacht, die in einem Abstand von etwas mehr als acht Kilometern hinter ihnen herfuhr. Die Motorjacht hatte den Namen Pjotr I.
Fortsetzung folgt
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